So nah und doch so fern
Um die Schweizer Landwirtschaft machen die zeitgenössischen Fotografen gemeinhin einen Bogen, und wenn sie doch einmal in den Fokus gerät, dann ironisiert oder gebrochen. Zu gross scheint die Angst, als Fotograf in die Anachronisten-Ecke verbannt zu werden. Markus Bühler macht eine Ausnahme. Seine Aufnahmen zeigen die heimischen Bauern jenseits von Idealisierung und Ideologiekritik.
Von David Signer
Der Bild der Landwirtschaft in der Schweiz ist zwiespältig, polarisiert. Es gibt die konservative Vorstellung der Schweiz als Volk von freiheitsliebenden, unabhängigen Bauern. Anbauschlacht, Wahlenplan, Autarkie, Rütli, Sonderfall, SVP, Albert Anker, Alpaufzug, Landsgemeinde... Demgegenüber wird die heimische Landwirtschaft von der jungen, gebildeten, urbanen Bevölkerung oft belächelt. Touristenattraktion, Folklore, Subventionen, Romantisierung, Ineffizienz, Mythologisierung, Atavismus... Dieses Doppelgesicht zeigt sich auch in der Fotografie. Einerseits gibt es die agrarische, „natürliche“ Schweiz, wie sie auf Postkarten, in Bildbänden und von den Tourismusverbänden dargestellt wird. Andererseits kommt die ländliche Schweiz in der zeitgenössischen, „ernstzunehmenden“ Fotografie kaum vor, und wenn, dann gebrochen, ironisiert, verfremdet, dekonstruiert. Das Besondere, ja Einmalige an Markus Bühlers Bildern ist nun, dass er versucht, eine Haltung jenseits dieser Stereotypien einzunehmen. Nicht weniger als eine Bestandesaufnahme der Schweizer Landwirtschaft hat er sich vorgenommen, und er geht an diese immense Aufgabe, die ihn über Jahre hinweg beschäftigt, mit dem Blick des Forschers heran. „Ich möchte wissen, wie es ist“, sagt er ganz schlicht. Es geht also weder um Stilisierung noch um Infragestellung, sondern um ein Nahebringen.
Die genaue und respektvolle Herangehensweise hat sich Bühler in der intensiven Beschäftigung mit Grönland erarbeitet. Essenz dieser Studien war der imposante Bildband „Inuit“. Nun überträgt er seinen „ethnologischen“ Approach auf die so nahe und zugleich so ferne Welt der heimischen Bauern. Sein Blick hat etwas Subversives, gerade weil er nicht subversiv sein will. Will er den Bauern mit dem Tuch auf dem Kopf, der ihn ein bisschen wie Tell aussehen lässt, zum Nationalhelden verklären? Will er ihn lächerlich machen? Weder noch. Das nächste Bild mit dem Heuballen macht klar, was es mit der Kopfbedeckung auf sich hat. Aber als Betrachter ertappt man sich dabei, dass man den Fotografen unwillkürlich in die eine oder andere Ecke, die des Urschweiz-Patrioten oder die des Karikaturisten, drängen will. Bühlers Bilder entziehen sich diesen Kategorien.
„Wenn man Klischees überprüft“, sagt Bühler, „kann man gelegentlich auch zum Resultat gelangen, dass ein Klischee stimmt, dass es wirklich aussieht wie in einem Prospekt. Und es wäre unaufrichtig, wenn man dann so täte, als wäre es anders.“ Wenn man also auf Teufel komm raus ein Haar in der Suppe suchte. Bühlers Bilder, wie etwa die Aufnahme vom Vierwaldstättersee mit dem Fischer, sind manchmal schlichtweg schön, und er versucht nicht, sie hässlich zu machen, bloss um einem ästhetischen Zeitgeist-Imperativ Genüge zu tun. Umgekehrt blendet er die Moderne nicht aus. Auch eine computerisierte Melkanlage oder die „Cafè Latte“-Fabrik zeigt er ganz nüchtern so, wie sie ist, ohne kritischen Zeigefinger, ohne Hohn, ohne „Botschaft“.
Klar, die Bauern müssen sich modernisieren, müssen diversifizieren, müssen Marktlücken aufspüren und ausfüllen, wie wir alle. Da spielen sie – wie im jurassischen Le Bémont - auch schon mal Eisenbahnüberfall, um eine Besuchergruppe zu unterhalten. Bei einem andern Fotografen kipte so eine Szene leicht ins Sarkastische – die Bauern würden vorgeführt. Bei Bühler ist der inszenierte Angriff natürlich auch surreal, aber das Lachen wird nicht zum Auslachen. Das ist schon deshalb nicht möglich, weil er eben nicht einfach mal für ein paar Stunden aus Zürich zu den „Eingeborenen“ reist, sondern sich über einen langen Zeitraum mit seinen „Sujets“ (die wirklich Subjekte und nicht Objekte sind) beschäftigt und die Bilder mit ihnen erstellt.
Viele Fotografen glauben heute, den Schrift von der Reportage zur Kunst vollziehen zu können, indem sie jeden Gegenstand ins Prokrustesbett ihres Stils zwängen. „Konzept“ nennt sich das dann – der Fotograf weiss schon, wie das Bild aussehen wird, bevor er das Sujet überhaupt zu Gesicht bekommen hat. Bühler geht umgekehrt, gewissermassen induktiv und empirisch, vor. Er ist nicht davon besessen, allem seinen persönlichen Stempel aufzudrücken, seine eigene Handschrift. Die Art der Aufnahme ergibt sich aus dem Thema, und gerade so entsteht nach und nach tatsächlich, ganz organisch, ein Stil. Aber erst am Ende, in der Rückschau. Ein Künstler beginnt sein Bild schliesslich auch nicht mit der Signatur.